Das Störfeld in der Osteopathie

Die Aufgabe eines Osteopathen besteht unter anderem darin, Störfelder im menschlichen Organismus aufzuspüren und diese entsprechend zu behandeln. Im osteopathischen Sinne entspricht das Störfeld der primären Dysfunktion, d. h. der ursächlichen pathologischen Veränderung der Biomechanik eines Körpergewebes. Die Fernwirkung eines Störfeldes in einer anderen Körperregion wird als adaptive, sekundäre Dysfunktion bezeichnet. Die mechanische Verbindung von primärer und sekundärer Dysfunktion über myokinetische und fasziale Ketten nennt man Ursache-Folge-Kette. Um diese Ursache-Folge-Kette und damit die zentrale Ursache der Beschwerden zu erfassen, bedarf es sehr genauer Kenntnisse der Anatomie, Physiologie und Neurologie sowie eines sehr feinen Wahrnehmungsvermögens, vor allem weil die primäre Dysfunktion häufig völlig beschwerdefrei ist.

Bringt eine Behandlungsserie keine oder nur eine kurzfristige Linderung der Symptome bzw. es kommt zu einer Verschlimmerung oder Chronifizierung der Beschwerden, liegt häufig eine Therapieblockade in Form eines Störfeldes vor, durch das die Selbstheilungskräfte des Körpers erheblich beeinträchtigt werden. Hinter therapieresistenten, chronischen und degenerativen Leiden steht also häufig ein unerkanntes Störfeldgeschehen, das möglicherweise nicht mit osteopathischen Methoden zu diagnostizieren und therapieren ist.

Was denn nun eigentlich unter einem Störfeld zu verstehen ist, wie ein solches entsteht und wirkt, so daß es in fernliegenden Körperarealen zu Beschwerden kommen kann, soll im Folgenden diskutiert werden. Auf dieser Grundlage werden dann auch die verschiedenen diagnostischen und therapeutischen Verfahren, die der Osteopath im Hinblick auf ein vermutetes Störfeldgeschehen zusätzlich anwenden kann, faßbarer.

Definition des Störfeldbegriffs

Nachdem in den vergangenen 100 Jahren die Definition des Störfeldes bzw. Störherdes (heute auch chronisches Irritationszentrum genannt) immer den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen folgte, sind heute die folgenden Definitionen geläufig und werden als Ausgangspunkt therapeutischen Handelns verwendet. Nach der histologischen Definition von G. Kellner ist ein Störherd eine subchronische Entzündung um nicht abbaubare körperfremde oder denaturierte körpereigene Substanzen. Dieser Herd besteht aus lymphozytär-plasmazellulären Infiltraten und der Desaggregation der Grundsubstanz, deren Ausdehnung sich unter dem Einfluß von Sekundärbelastungen ändert. Die klinische Definition von A. Stacher besagt, daß ein Störherd eine verborgene Entzündung ist, die lokal oligo- bzw. asymptomatisch verläuft, aber in weit entfernten Körperarealen Fernstörungen auszulösen vermag. In den weiteren Ausführungen folgen wir der kybernetischen Störfeldbestimmung, die unter einem Störfeld eine Reizquelle unterschiedlicher Ätiologie versteht, die meist mit geringer Intensität aber dauerhaft auf den Organismus einwirkt und eine Regulationsstörung bewirkt, auf deren Basis sich unter Einfluß eines zweiten Reizes Fernstörungen entwickeln können. In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, daß hier nicht zwischen Störherd im herkömmlichen Sinne und Störfeld unterschieden wird; nach dieser sehr weit gefaßten Definition werden die beiden Begriffe vielmehr synonym verwendet. Ursprünglich bezeichnete man als Herd bzw. Fokus eine lokale durch Mikroorganismen ausgelöste Entzündung, in dessen Folge sich durch hämatogene Streuung von Mikroorganismen oder ihrer Abbauprodukte, z. B. von Bakterien oder deren Toxine, pathologische Fernstörungen entwickeln. Da nun nach kybernetischem Verständnis jedes Geschehen, das die Steuerungs- und Regulationsvorgänge des Körpers behindert - insbesondere die Ausregulierung von die Ordnung störenden Reizen - als Störfeld zu bezeichnen ist, gelten neben chronischen Entzündungen z. B. auch Zähne, Narben, Störungen des Magen-Darm-Traktes, Fremdkörper, Giftbelastungen sowie psychische Belastungen als potentielle Störherde.

Beispiele für Störfelder

  • Chronische entzündliche Prozesse, z. B. Affektionen an Nasennebenhöhlen
  • Tonsillen oder inneren Organen (Appendix, Adnexe, Pankreas etc.)
  • Zahn-Kieferbereich, z. B. impaktierte Weißheitszähne, avitale Zähne, Kieferostitiden, Pulpitiden, Zysten
  • Narben z. B. nach Operationen, Verletzungen, Stichkanälen, Eiterungen,
  • Knochenkallus
  • Darmdysbiosen
  • Fremdkörper (zahnärztliche Füllungsmaterialien, Implantate, Prothesen, Granatsplitter etc.)
  • Toxinbelastungen (Schadstoffe in Nahrung, Umwelt etc.)
  • Lokale allergische Reaktionen
  • Psychische Belastungen

Entwicklung eines Störfeldgeschehens

Der menschliche Organismus verfügt über komplexe miteinander vernetzte Regelsysteme und damit über die Fähigkeit zum Selbsterhalt und zur Selbstheilung. Reize, die seine Ordnung stören, reguliert der Körper normalerweise entsprechend aus, um das Gleichgewicht seines inneren Milieus (Homöostase) wieder herzustellen. Existiert jedoch ein Störfeld im Körper, kann das die Regulationsfähigkeit des Körpers stören, d. h. es kommt zu Fehlreaktionen, die letztlich dazu führen, daß Heilungsprozesse be- oder sogar verhindert werden. Ein Störfeld - in der Neuraltherapie auch Erstschlag genannt - von dem minimale Dauerreize ausgehen, beeinträchtigt langfristig das komplexe Regelkreisgeschehen des Organismus und schwächt damit seine Leistungs- und Abwehrkraft, was jedoch nicht unmittelbar zu registrierbaren Beschwerden führen muß (Adaptationssyndrom). Ein zusätzlicher auf den labilisierten Organismus treffender Reiz - in der Neuraltherapie auch Zweitschlag genannt - kann nun krankheitsauslösend wirken. Infolge einer mehr oder weniger gravierenden Zweitbelastung - Unfall, Operation, Infektion Wetterwechsel, Zugluft oder Streß - kommt es je nach Kompensationsfähigkeit des Körpers besonders in vorbelasteten Strukturen zu Fernstörungen, die sich schließlich als aktuelles Beschwerdebild des Patienten manifestieren, z. B. als Schläfenkopfschmerz bei symptomlosem Gallenblasenstein. Ein Beschwerdebild kann aber auch durch das Zusammenwirken mehrerer Störfelder bedingt sein, wenn nämlich eine störfeldbedingte Fernerkrankung wiederum selbst zum Störfeld geworden ist und weitere Erkrankungen ausgelöst hat. Andererseits induziert nicht jedes Störfeld zwangsläufig ein Krankheitsgeschehen. Ob es in Folge eines Erst- und Zweitschlages zu einer Fernstörungsmanifestation kommt, die nach Autonomisierung eine entsprechende Pathomorphologie (chronisches Irritationssyndrom) bewirkt, ist vielmehr abhängig von der Reizintensität und Wirkungsdauer der Reize. Das Störfeld ist also kein spezifischer, ätiologischer, sondern ein unspezifischer, pathogener Faktor, der als Risikofaktor zu berücksichtigen ist. Es gibt demnach also auch kein klassisches Bild einer Störfelderkrankung, d. h. Ischiasbeschwerden z. B. können durch vereiterte Tonsillen, eine Blinddarmnarbe oder aber ein anderes Störfeld ausgelöst werden.

Welches Körperorgan in Folge eines Störfeldes in Mitleidenschaft gezogen wird, ist nicht rein zufällig, sondern hat seine Ursache meist in einer Organschwäche, die durch genetische Disposition, durch Überlastung (Fehlernährung, Infektion, sportliche Überanstrengung etc.) oder aber durch ungelöste seelische Konflikte entstanden ist. In diesem Zusammenhang ist die Relation zwischen bestimmten Emotionen und Organen interessant, z. B. Herz - Freudlosigkeit, Lunge - Kummer, Leber - Wut. Es gibt jedoch auch funktionelle Zusammenhänge zwischen den einzelnen Strukturen des Körpers, wobei die Wechselbeziehung zwischen den Zähnen und bestimmten Organen, Geweben und Systemen z. B. durch die Elektroakupunktur-Messungen des Arzts R. Voll besonders gut erforscht ist. Bei beherdeten Frontzähnen treten z. B. häufig Beschwerden im Urogenitalsystem (Reizblase bei Frauen, Prostatabeschwerden bei Männern) auf.

Ausbreitung von Störfeldreizen

Die Begründer der Neuraltherapie, die Brüder Huneke, entdeckten 1940, daß es Störfelder gibt, die nicht - wie die damalige Herdlehre meinte - auf dem Blutwege, sondern über das vegetative Nervensystem Störimpulse aussenden, die in weit entfernten Körperarealen zu Beschwerden führen. Ein störfeldbedingter Reiz kann sich auf nervalem Wege in eine weit entfernte Zone ausbreiten, da das vegetative Nervensystem segmentübergreifend verschaltet ist. Der efferente Leitungsweg des Sympathikus - nach dem Ursprung der sympathischen Nervenfasern in den Seitenhörnern der Rückenmarkssegmente Th1 bis L2 auch thorako-lumbales System genannt - besteht aus zwei Neuronen. Das erste, präganglionäre Neuron wird im sympathischen Grenzstrang bzw. in organnahen, prävertebralen Ganglien auf postganglionäre Neurone umgeschaltet, die das Erfolgsorgan erreichen. Das Verhältnis von prä- zu postganglionären Neuronen beträgt 1:20, d. h. die ursprüngliche Information wird verzwanzigfacht, was im Hinblick auf projektierte, störfeldferne Schmerzen von Bedeutung ist. An dieser Stelle ist auch die nervale Wechselwirkung zwischen den inneren Organen und den verschiedenen Gewebestrukturen (Cutis, Subcutis, Periost, Muskeln) erwähnenswert. Ist z. B. ein inneres Organ gestört, kann es zu reflektorischen Veränderungen in der entsprechenden Head-Zone kommen, d. h. in einem definierten Hautareal (Dermatom), das aus demselben Rückenmarkssegment innerviert wird wie das erkrankte Organ, können Hyperästhesie oder Hyperalgie als viszerokutane Reflexe auftreten. Nicht nur die Nervenbezirke der Haut (Dermatome), sondern auch die Innervationszonen des Unterhautbindegewebes und des Periosts (Sklerotome) sowie die der Skelettmuskulatur (Myotome) sind mit den inneren Organen (Viszerotome) auf der Ebene des Rückenmarks segmental verschaltet. Da alle Substrate eines metameren Segments miteinander verkoppelt sind, d. h. über den segmentalreflektorischen Komplex miteinander in funktioneller Beziehung stehen, werden bei Veränderung eines Substrates alle übrigen gleichsinnig umgestellt. Daher können bei einer Organstörung bzw. bei einem Störfeld neben Hautirritationen z. B. auch Veränderungen wie Bindegewebsturgor, Hypertonus der Muskulatur, myofasziale Schmerzpunkte in den entsprechenden Sklerotomen und Myotomen zu palpieren sein. Umgekehrt können auch innere Strukturen z. B. über die Haut unter Nutzung viszerokutaner Reflexe oder durch Erregung sensorischer Nervenfasern beeinflusst werden (Reflexzonentherapie, Segmenttherapie).

Die störfeldbedingte Reizausbreitung kann auch mittels so genannter kinetischer Ketten erklärt werden. Neben der spinal-segmentalen Zuordnung ist die somatische Muskulatur in Form von kinetischen Ketten verschaltet. Das Zusammenspiel komplexer Muskelgruppen innerhalb einer Muskelkette ist die Grundlage von automatisch durchgeführten Komplexbewegungen sowie von Feinabstimmungen, z. B. beim Sprechen, Schreiben, Balancieren etc. Die Muskeln können nicht einzeln aktiviert werden, sondern nur im Rahmen einer kinetischen Kette, welche Segmentgrenzen überschreitet, setzt sich doch die Aktion entsprechend der aktivierten Muskelfaseranteile gradlinig fort. In der Osteopathie gelten myokinetische und myofasziale Ketten als mechanische Übertragungswege für Kompensationsreaktionen der Körperstatik. Nach einem Knochenbruch z. B. versucht der Organismus, die verletzten Strukturen durch eine Schonhaltung zu schützen, um damit Schmerzen zu vermeiden und den Heilungsprozeß zu fördern. Erfolgt die Ausheilung nur unzureichend, verharrt der Körper in dieser Schonhaltung und entwickelt aufgrund der veränderten Statik sekundäre Symptome entlang der entsprechenden kinetischen Ketten. Auch die vom Störfeld ausgesendeten Reize können sich entlang dieser funktionellen Muskelketten segmentüberschreitend ausbreiten, so daß es schließlich in einem weit entfernten Körperareal zu Funktionsstörungen kommt. Die Regulation des Muskeltonus folgt ebenfalls über kinetische Ketten, d. h. der reaktive Hypertonus eines Einzelmuskels infolge eines z. B. segmentalreflektorischen Reizes breitet sich die Dermatom- und auch Myotomgrenzen überschreitend entlang der gesamten Muskelfunktionskette aus, wodurch weitreichende Spannungssymptome der Muskulatur, tonisch-algetische-pseudoradikuläre Symptome, entstehen.

Im Hinblick auf die Ausbreitung der Störfeldinformation soll auch die energetische Ebene berücksichtigt werden. Nach Auffassung der traditionellen chinesischen Medizin bewegt sich die Lebensenergie (Qi) auf bestimmten Leitbahnen (Meridianen) durch den Körper. Durch den spezifischen Verlauf der zwölf Hauptmeridiane von innen nach außen sind die inneren Organe mit den äußeren Partien des Körpers verbunden, d. h. die verschiedenen Teilbereiche des Körpers sind energetisch in Form einer Resonanzkette miteinander verschaltet. Ist nun ein Organ z. B. durch eine Operationsnarbe gestört, kann das den Energiefluß derart beeinträchtigen, daß es entlang des entsprechenden Meridians zu Beschwerden in anderen Organen kommt. Demnach können z. B. entzündete Augen und stechende Kopfschmerzen als Folge einer Leberstörung auftreten.

Störfelddiagnostik und -behandlung

Es existieren zahlreiche Methoden, mit denen ein Störfeld diagnostiziert und behandelt werden kann. Dabei gibt es einige Verfahren, die beides - sowohl die Diagnostik als auch die Therapie eines Störfeldes - erlauben; andere Methoden wiederum lassen sich nur für die Störfeldtestung oder die Behandlung einsetzen. Je nachdem um welche Art von Störfeld es sich handelt, haben sich die verschiedenen diagnostischen und therapeutischen Methoden als unterschiedlich wirkungsvoll und zuverlässig erwiesen. Da im erkrankten Organismus in der Regel mehrere Störfelder zu finden sind, ist es um so wichtiger ein Verfahren zu wählen, das es zuläßt, die verschiedenen Störfelder ihrer Wertigkeit nach zu hierarchisieren, um schließlich das Hauptstörfeld exakt identifizieren und gezielt behandeln zu können.

In Bezug auf die Störfelddiagnostik steht zunächst eine gezielte Anamnese im Vordergrund, während der mögliche Störfelder wie z. B. rezidivierende oder chronische Beschwerden, Verletzungen, Operationen, zahnärztliche Eingriffe, Impfungen, Vergiftungen oder psychische Traumen besonders zu berücksichtigen sind.

Im Rahmen eines Störfeldgeschehens ist auch die eingehende körperliche Untersuchung von grundlegender Bedeutung, wobei den so genannten Projektionssymptomen, den reflektorischen Krankheitszeichen, die besondere Aufmerksamkeit gelten sollte. Hier erleichtert die Kenntnis sowohl der Projektionszonen als auch der Regeln, nach welchen die Projektion erfolgt (Lateralitätsregel, Regel der Dreifachprojektion, Metamerieregel, Quadrantenregel, kinetische Kettenschaltung, homolaterale Symptomerweiterung, Seitenkreuzung der Symptome) die Störfeldsuche ungemein. Die auffälligen projektiven Veränderungen in Haut, Unterhaut, Muskulatur etc., zu denen es in Folge eines Störfeldes aufgrund der sensomotorischen Verschaltung des Organismus kommen kann, lassen sich mittels verschiedener Palpationstechniken (z. B. Strichpalpation, Kibler'sche Hautfalte, Schichtpalpation) erfassen. Bei der Palpation z. B. zur Beurteilung des Haut- und Bindegewebsturgos oder des Muskeltonus ist jedoch zu beachten, daß Dermatom und Myotom aus entwicklungsgeschichtlichen Gründen nicht deckungsgleich sind. Bei der Untersuchung sind die Head-Zonen mit einem eventuell veränderten Berührungs- und Schmerzempfinden, die Adler-Druckpunkte zum Auffinden von Kopfherden sowie die Triggerpunkte, deren Stimulation Schmerz (referred pain) entlang der kinetischen Ketten auslöst, gleichermaßen in Betracht zu ziehen. Bei der gezielten Störfeldsuche sollte selbstverständlich auch ein klinisches Herdscreening durch entsprechende laborchemische und bildgebende Verfahren in Erwägung gezogen werden.

Die Praxis hat gezeigt, daß es Störfelder gibt, die durch die übliche Diagnostik nicht ohne weiteres zu erfassen sind. In diesem Falle sollte z. B. der Osteopath auf ein zusätzliches Diagnoseverfahren zurückgreifen. Im Folgenden werden nun eine Reihe von gängigen Test- und Behandlungsverfahren vorgestellt, die bei einem störfeldinduzierten Krankheitsgeschehen zur Anwendung kommen können. Der Fragestellung, welche diagnostischen und therapeutischen Methoden sich bei den verschiedenen Arten von Störfeldern besonders bewährt haben, kann in diesem Rahmen allerdings nicht eingehend nachgegangen werden.

Der französische Arzt P. Nogier entwickelte etwa um 1950 ein eigenständiges Diagnose- und Therapiekonzept, indem er die reflektorischen Beziehungen zwischen der Ohrmuschel, die der Gestalt nach einem Embryo in Kopflage entspricht, und den einzelnen Körperregionen nachwies. Ist eine Körperstruktur gestört, so zeigt sich das in der entsprechenden Reflexzone am Ohr nicht nur durch eine erhöhte Drucksensibilität, sondern v. a. auch durch einen veränderten Hautwiderstand. Dabei ist interessant, daß sich im Gegensatz zu den Körperakupunkturpunkten ausschließlich die Ohrpunkte mittels eines Punktsuchgerätes nachweisen lassen, die mit einer gestörten Körperstruktur korrespondierenden. So ist auf der Ohrmuschel z. B. der Leberpunkt nur dann elektrisch verändert, wenn auch eine Störung im Bereich der Leber vorliegt. Darüber hinaus erlaubt die elektrodermale Widerstandsmessung auch eine exakte Graduierung der Punkte und gibt damit entscheidende Hinweise auf die Stärke des jeweiligen Störfeldgeschehens. Auch der so genannte Nogier-Reflex bzw. Réflexe auriculo-cardiaque (RAC), der sich bei Reizung eines irritierten Ohrpunktes als veränderter Radialispuls tasten läßt, ist eine wertvolle Hilfe für die Störfeldsuche. Die von Nogier und Bahr entwickelten Techniken ermöglichen eine sehr gezielte Störfeldsuche und die Identifizierung des Hauptstörfeldes. Ein Vorteil dieser Methode ist, daß der Therapeut aufgrund der Messmethode relativ unabhängig von der Mitarbeit des Patienten ist. Außerdem können Störfelder über die Korrespondenzzonen am Ohr nicht nur sehr gezielt diagnostiziert, sondern auch mittels Nadelreiz, Punktmassage oder Softlaser therapiert werden. Auch innere schwer zugängliche Störfelder wie z. B. Tonsillennarben oder Kieferhöhlen lassen sich über die Ohrreflexzonen sehr gut therapieren. Die Wechselbeziehungen zwischen der Ohrmuschel und dem Gesamtorganismus erklärt die Aurikulotherapie v. a. durch die direkten nervalen Verbindungen von der Ohrmuschel zu Strukturen des Zentralnervensystems.

Die Projektion des gesamten Körpers in einem bestimmten Körperareal (Somatotopie) läßt sich nicht nur in der Ohrmuschel finden, sondern z. B. auch an den Füßen, Händen und dem Schädel, d. h. auch an diesen Strukturen können Störungen an Korrespondenzpunkten in Erscheinung treten und können dort behandelt werden. Hier wird aber das Phänomen der Somatotopie mit Hilfe des embryonalen Entwicklungsprozeßes und biokybernetischer Wirkmechanismen (Pischinger, Heine) zu erklären versucht. Im Rahmen der Reflexzonentherapie am Fuß (RZF), die auf der funktionellen Beziehung zwischen den Fitzgerald-Zonen am Fuß und dem Gesamtorganismus basiert, lassen sich z. B. Störfelder in Form von größeren Narben v. a. am Kopf, Hals und Rumpf über die entsprechenden Reflexzonen am Fuß diagnostizieren und therapieren. Die Neuraltherapie nach Huneke - auch therapeutische Lokalanästhesie (TLA) genannt - geht von neurophysiologischen Wechselbeziehungen (vizerokutane, kutiviszerale Segementreflexe, neurohumorale Reaktionen) zwischen der Körperoberfläche und den inneren Strukturen des Körpers aus. Bei der Störfeldsuche sollte der Therapeut davon absehen, alle hypothetischen Störfelder mittels Testinjektionen auf ihre Störwirkung hin zu prüfen. Sinnvollerweise identifiziert er mit Hilfe eines anderen diagnostischen Verfahrens das Hauptstörfeld, um es dann sehr gezielt behandeln zu können.

Die Neuraltherapie, die sich als ganzheitlich orientierte Form der Regulationstherapie versteht, verfolgt das Ziel, das die Regelkreise nachhaltig belastende Störfeld auszuschalten. Durch die Injektion von Lokalanästhetika vorzugsweise direkt in das Störfeld, soll die bestehende lokale Regulationsstarre unterbrochen werden, damit das die Krankheit unterhaltende Störfeld wieder Anschluß an die übergeordneten Regelkreise des Organismus bekommt und Heilung möglich wird. In die Störfeldbehandlung können gegebenenfalls z. B. auch der segmentalreflektorische Komplex und die Triggerpunkte miteinbezogen werden; bei Bedarf werden auch verschiedene neuraltherapeutische Injektionstechniken kombiniert. Als sicheres Zeichen für das Auffinden des für die Beschwerden verantwortlichen Störfeldes gilt das so genannte Sekundenphänomen, d. h. der Patient ist unmittelbar nach der Störfeldanästhesie für mindestens 18 Stunden schmerzfrei. Bei chronischen, multiplen Beschwerden wird das klassische Sekundenphänomen allerdings nur selten erzielt. Meistens kommt es zu reproduzierbaren abortiven Sekundenphänomen mit Schmerzlinderung und Funktionsverbesserung oder zu Sekundenphänomenen mit Rezidiv der Symptome. Ein negatives Sekundenphänomen, d. h. die Schmerzzunahme nach der Störfeldanästhesie, ist ein Hinweis darauf, daß es neben diesem Störfeld noch ein weiteres Störfeld geben muß, das bisher nicht behandelt wurde. Bei der Störfeldtherapie kann auch ein anderes Störfeld, das bisher nicht beachtet wurde, akuisiert werden und seinerseits Lokalsymptome verursachen.

Die bioelektrischen Diagnose- und Therapieverfahren wie z. B. die Elektroakupunktur nach Voll (EAV), die bioelektronische Funktionsdiagnostik (BDF) und der VRT-Vegatest (vegetativer Reflextest) sind gängige Methoden zur Beurteilung der biologischen Steuerungs- und Regelprozesse und ihrer Störungen. Die reflektorischen Wechselbeziehungen zwischen den inneren Körperstrukturen und der Haut berücksichtigend, werden an bestimmten Akupunkturpunkten, die ihrerseits mit bestimmten Organen, Wirbelsäulenabschnitten, Zähnen etc. korrelieren, elektrophysikalische Messungen durchgeführt. Über elektrodermale Parameter wie z. B. einen veränderten Hautwiderstand können Störfelder und ihre Fernwirkungen sehr genau lokalisiert werden. Bei der Therapie kommt der so genannte Medikamenten- oder auch Resonanztest zur Anwendung, bei dem ausgewählte Therapeutika am entsprechenden Hautreflexpunkt in den Stromkreis eingebracht werden, um zu prüfen, welches Mittel für das betroffene Organ in Hinblick auf Wirkung, Verträglichkeit und Dosierung optimal ist. Die BDF nach Dr. Pflaum und der VRT nach Dr. Schimmel entwickelten sich in dem Bestreben, die vielen hundert Messpunkte der EAV deutlich zu reduzieren. Weitere heute noch übliche elektrische Reiz-Reaktionsverfahren zur Beurteilung der Regulationsfähigkeit des Organismus sind der Elektrohauttest, die Decoderdermographie und die Segmentelektrographie.

Die Thermoregulationsdiagnostik (TRD), davon ausgehend, daß der Organismus auf Störungen im Körperinneren mit einem veränderten Wärmehaushalt reagiert, ist für eine gezielte Störfeldsuche ebenfalls geeignet. Zur Prüfung der Wärmeregulationsfähigkeit des Organismus wird jeweils vor und nach einem Kältereiz an bestimmten Hautmesspunkten, die mit bestimmten Körperorganen, Zähnen etc. korrelieren, mittels eines elektrischen Thermofühlers die Wärmeabstrahlung gemessen. Die Differenz dieser beiden Werte läßt diagnostische Aussagen zu, d. h. ist die Regulationsfähigkeit in einem Hautareal gestört, so kann man auf eine Störung der entsprechenden Körperstruktur schließen.

Die Bioresonanztherapie, die von dem Arzt F. Morell und dem Elektroingenieur E. Rasche begründet wurde, ist ein diagnostisches und therapeutisches Verfahren, das mit den körpereigenen Schwingungen des Patienten arbeitet. Grundlegend ist die Vorstellung, daß jeder Mensch ein individuelles Schwingungsspektrum hat, das sich durch belastende Faktoren jedoch verändern kann. Mittels eines bestimmten Messgerätes (Mora, Biocom) wird an bestimmten Punkten die elektromagnetische Schwingung des Patienten gemessen, wobei davon ausgegangen wird, daß ein im Gerät integrierter Seperator zwischen physiologischer und pathologischer Schwingung unterscheiden kann. Es wird angenommen, daß die pathologischen Schwingungen des Körpers durch entsprechende inverse Schwingungen löschbar sind, d. h. daß krankmachende Informationen auf diese Weise eleminiert werden können. Die modifizierte Schwingung wird dem Körper dann als therapeutische Information über eine zweite Elektrode zurückgeben.

Abschließend sollen nun noch zwei nichtapparative Verfahren, mit denen sich bioenergetische Mißverhältnisse in Folge eines Störfeldes ebenfalls erkennen und beseitigen lassen, Erwähnung finden. Die Angewandte Kinesiologie nach Goodheart bedient sich des auf neurophysiologischen Grundlagen beruhenden so genannten kinesiologischen Muskeltests als Biofeedback, um Störfelder zu lokalisieren und ihrer Natur und Stärke nach zu differenzieren. Dabei geht man davon aus, daß Muskeln, die über das Meridiansystem mit dem gesamten Organismus vernetzt sind, auf Stressoren z. B. mit einem veränderten Tonus reagieren. So können mit Hilfe des Muskeltests Rückschlüsse auf den Zustand des gesamten Körpers gezogen und so der die Regulation des autonomen Nervensystems beeinträchtigende dominierende Störfaktor bestimmt werden. Der Muskeltest erlaubt es, Störungen auf drei unterschiedlichen Ebenen (Struktur, Stoffwechsel, Psyche) zu lokalisieren und zu hierarchisieren. Therapeutisch wird der Muskeltest angewendet, um die geeignete Behandlungsmethode auszutesten, Energien zu harmonisieren und seelische Konflikte aufzulösen. Auf Grundlage der Kinesiologie hat R. van Assche die Physioenergetik - auch holistische Kinesiologie genannt - entwickelt. Diese die Einheit von Körper (Physis), Geist (Energie) und Seele (Information) voraussetzende Diagnose- und Therapiemethode arbeitet mit dem Armlängenreflex, wobei nicht der veränderte Muskeltonus, sondern die Verkürzung einer funktionellen Muskelkette als Indikator für einen störenden Einfluß gilt.

Hier konnte nur eine kleine Auswahl der mannigfaltigen bioenergetischen Verfahren, die sich bei der Ermittlung und Beseitigung von Störfeldern als günstig erwiesen haben, vorgestellt werden, ganz davon abgesehen, daß heute die verschiedensten Verfahren immer häufiger miteinander zu wieder etwas Neuem kombiniert werden.

In Zeiten zunehmender therapieresistenter, chronischer und degenerativer Leiden, deren symptomatische Behandlung offensichtlich wenig effektiv ist, kapitulieren immer mehr Therapeuten. Dabei hat die Praxis gezeigt, daß Therapieresistenz vielfach auf ein unbemerktes, unterschwellig wirkendes Störfeld zurückzuführen ist, durch dessen gezielte Behandlung die Beschwerden erheblich gelindert werden können; nicht selten kommt es sogar zu einer völligen Genesung des Patienten. Die meisten Störfelder sind mit der gängigen Diagnostik in der Regel nicht festzustellen. Dafür gibt es inzwischen aber zahlreiche Verfahren, die wissenschaftlich allerdings immer noch mehr oder weniger umstritten sind, mit deren Hilfe sich Störfelder jedoch sehr präzise diagnostizieren und therapieren lassen. Der Osteopath ist aufgrund seiner geschulten Händen in der Lage, mit Hilfe eines breitgefächerten Spektrums sehr differenzierter manueller Techniken eine ganze Reihe von Störfeldern (z. B. Adhäsion nach Operationen, chronisch entzündete Organe) und ihre Fernwirkungen sehr exakt identifizieren und behandeln zu können. Läßt sich im Falle einer Therapieblockade das prioritäre Störfeld nun aber nicht mit den herkömmlichen osteopathischen Techniken eruieren, sollte der verantwortungsvolle Osteopath sich nicht scheuen, ein angemessenes ergänzendes Verfahren zur Störfeldtestung und -behandlung in seine Praxis zu integrieren.

 

Richard Gietz, Heilpraktiker und Osteopath in Köln und Gummersbach

 

Literatur

Strittmatter, B.: Das Störfeld in Diagnostik und Therapie, Hippokrates Verlag, Stuttgart 1998

 

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